Von der Oase weg führt der Weg am zweiten Tag durch ein langes, steinernes Tal, bis sich die Weite erneut öffnet und sich am Horizont der „Große Sand“ erhebt. Und wie aus dem Nichts stehen plötzlich zwei Nomadenkinder vor uns in dieser kargen Landschaft – halb Stein, halb Sand.
Sie wollen Bonbons und Süßigkeiten, aber ich habe nur noch einen Rest Traubenzucker, den sie mir voller Begeisterung schneller aus der Hand gerissen haben, als ich gucken kann.
Ein wenig weiter erlebt sich vor uns ihr Zuhause. Zwei Jurten aus Ästen und Lehm. Ein weiteres Nomadenmädchen kommt auf uns zugelaufen, gefolgt von ihrer Mutter. Die Kleine mit den großen braunen Augen umklammert mit der Hand ein paar Ketten aus schwarzen Perlen mit einem kleinen Lederamulett mit einer Muschel. Eine der Ketten wird mich die nächsten Tage auf meinem Weg durch den Sand begleiten. Ich darf sogar ein Foto von den beiden machen, jedoch nur als Erinnerung für mich, nicht für Facebook oder das Internet, betont die Berberin.
Die übrigen Dromedare unserer Karawane geführt von Omar, Said und Heda holen uns ein und wir machen an einem Brunnen Rast, an dem die Tiere getränkt und die Kanister gefüllt werden und auch wir unsere Gesichter erfrischen und die Hände waschen können. Am einzigen Busch weit und breit, bildet sich eine Warteschlange. Kaum bin ich dahinter verschwunden, kommt doch tatsächlich ein Auto vorbei.
Von dem SUV, der ebenfalls an der Wasserstelle hält, springen ein paar junge Marokkaner. Auch sie füllen ihre Kanister und freuen sich ebenfalls über das Wasser, bevor sie weiterfahren, vermutlich zu ihrem Biwak.
Diese Freude und Begeisterung, die das verfügbare Wasser nach noch nicht einmal 48 Stunden ohne den für uns alltäglichen Komfort in uns wachruft, ist beeindruckend. Als ebenso kostbar empfinden wir die grünen Mandarinen, die Nüsse und Datteln, die wir im Schatten eines Baumes genießen. Nach einer kurzen Rast setzen wir unseren Weg fort, der uns nun aus den Steinen in den Sand führt.
Die ersten kleinen Dünen, Hügel und Mulden im Wechsel mit Büschen und Sträuchern. Zart keimendes Grün auf dem eingetrockneten Sandboden verrät, dass es vor etwa 14 Tagen geregnet haben muss. In dieser bizarren Landschaft schlagen wir gegen Mittag unser zweites Camp auf.
Rührend wie die Männer als Erstes unsere „Ruhezone“ vorbereiten, damit wir im Schatten relaxen können, während sie sich um die Zubereitung des obligatorischen Tees und unserer Mittagessens kümmern. Danach ist erneut Ausruhen angesagt.
Gegen Nachmittag steht Brotbacken an. Heda hat Teig vorbereitet und Feuer im Sand gemacht. Nachdem sich ein ordentliches Glutbett gebildet hat, schiebt er die Glut zur Seite und legt einen großen Teigfladen auf den heißen Sand, um anschließend den Fladen wieder mit der Glut zu bedecken. Das Brot geht auf wie ein kleiner Vulkan. Als es fertig gebacken ist, wird Sand und Asche abgerieben und wir lassen uns das frische Brot mit Olivenöl und schwarzen Oliven schmecken.
Nachdem wir nach Tee, Meditation und Gespräch unser tägliches Schweigen wieder gebrochen haben, sucht sich jeder eine Sanddüne, um die Abendsonne zu genießen und den Gedanken nachzuhängen. Es ist wundervoll in diesem weichen, von der Hitze des Tages aufgeheizten Sand zu liegen und zu träumen. War bis zu diesem ersten Tag im Sand die Ungewissheit noch präsent, merke ich, wie ich immer stärker von der Kraft dieser Naturlandschaft in den Bann gezogen werde und mit ihr eins werde. Es ist ein unbeschreibliches Glücksgefühl und auch ein Gefühl von Stolz diesen Traum endlich zu leben und soweit gekommen zu sein. Ich fühle mich wie ein lachendes, glückliches Kind in einem riesigen Sandkasten.
Voller Begeisterung lese ich in einem Naturführer über die Besonderheiten der Dromedare und mir unbekannter Wüstenpflanzen, über Tierspuren und Wüstenfüchse. Meine Bedenken bezüglich Skorpionen und Schlangen geraten immer stärker ins Hintertreffen.
Am Abend ist es endlich so weit, die erste Nacht im Sand. Die beiden Zelte haben die Nomaden heute nicht aufgebaut. Jeder sucht sich sein Plätzchen bei den großen schwarzen Käfern in den Dünen. Nach ausgiebigem Sternegucken und zahlreichen Sternschnuppen schlafe ich ein. Mein fester Schlaf ist voller Träume und so höre ich das Wecken zur morgendlichen Meditation nicht.
Erst nach Sonnenaufgang werde ich wach, und als ich mein Nachtlager schnell zusammenpacke, um nicht auch noch zum Frühstück zu spät zu erscheinen, ist er da: der Skorpion. Ein weißer Skorpion unter meiner Matte. Ich habe auf ihm geschlafen.
Der „Feind“ war unter meinem Bett.*
* Ein Blick in den Naturführer beruhigt. Der Skorpion sei in der Mythologie zwar Symbol für Boshaftigkeit und Tod. Wenn man ihnen jedoch morgens begegne, gelten sie als Glücksbringer.